Systematik der Decknamen für unterirdische Geheimobjekte des Zweiten Weltkriegs – Das System des RMfRuK
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs entwickelte das nationalsozialistische Deutschland eine ausgeklügelte Strategie zur Tarnung kriegswichtiger Bauvorhaben. Diese Projekte – insbesondere die sogenannten Untertage-Verlagerungen (U-Verlagerungen) – wurden mit geheimen Decknamen versehen, um ihre wahre Funktion und Lage vor feindlicher Aufklärung zu verschleiern.
Diese Tarnbezeichnungen wurden nicht nur für unterirdische Anlagen verwendet, sondern auch für oberirdische Bauten, Produktionsstätten, Kommandozentralen und militärische Infrastrukturen. Die beiden letzteren sind in einer weiteren Decknamenliste eingegliedert. Besonders stark ausgeprägt war dieses System im Bereich der Rüstungsindustrie und der Luftfahrt, wo massive Produktionsverlagerungen in den Untergrund stattfanden, um sie vor alliierten Luftangriffen zu schützen.
Hintergrund: Das RMfRuK und die Vergabe der Decknamen
Das Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (RMfRuK), das unter der Leitung von Albert Speer stand, koordinierte zentral die Vergabe dieser Decknamen. Um Einheitlichkeit und Tarnung zu gewährleisten, wurde eine systematische Nomenklatur für unterschiedliche Arten unterirdischer Objekte entwickelt. Ziel war es, anhand der Decknamen Rückschlüsse auf Art, Funktion oder Lage der Anlage zu erschweren.
Dabei wurden Begriffe aus dem Tier- und Pflanzenreich, geologische Fachbegriffe sowie weibliche und männliche Vornamen verwendet. Auch Tarnfirmen, alphanumerische Codes und Mehrfachbenennungen wurden eingesetzt – etwa wenn unterschiedliche Organisationen wie die SS-IKL (Inspektion der Konzentrationslager) und das RMfRuK dasselbe Objekt betreuten.
Decknamensystematik nach Objekttypen
Die vom RMfRuK eingeführte Systematik ordnete bestimmten Typen unterirdischer Bauwerke spezifische Namenskategorien zu:
Objekttyp | Verwendete Decknamensystematik |
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Natürliche Höhlen | Münznamen (z. B. Taler, Gulden) |
Alte Schachtanlagen | Säugetiernamen (z. B. Dachs, Bär) |
Alte Stollenanlagen | Fisch- und Amphibiennamen (z. B. Forelle, Salamander) |
Neue Stollenanlagen | Geologische Begriffe (z. B. Basalt, Granit, Schiefer) |
Ehemalige Festungsbauten | Pflanzennamen (z. B. Eiche, Buche) |
Tiefe Keller | Weibliche Vornamen (z. B. Irmgard, Sigrid) |
Bunkerbauten (neu und alt) | Männliche Vornamen (z. B. Fritz, Otto) |
Verkehrstunnel | Vogelnamen (z. B. Schwalbe, Drossel, Meise) |
Weitere Tarnmechanismen
Neben dieser symbolisch motivierten Namensgebung gab es zusätzliche Verschleierungsmethoden:
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Alphanumerische Codes: Buchstaben- und Zahlenkombinationen zur internen Zuordnung, z. B. „A1“, „B2“ oder „S3“.
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Fiktive oder irreführende Firmenbezeichnungen: Manche Anlagen trugen den Namen von Tarnfirmen oder eigens gegründeten Scheinfirmen.
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Doppelte oder mehrfache Benennung: Dasselbe Objekt konnte von verschiedenen Behörden unterschiedlich bezeichnet werden – etwa durch die SS und das RMfRuK.
Kategorisierung der U-Verlagerungen nach Projektwellen
Im Zuge der systematischen Untertageverlagerungen wurden verschiedene Projektwellen ins Leben gerufen, die nach Buchstaben kategorisiert wurden:
A-Projekte – Erste Welle
Diese Phase umfasste die rasche Nutzung bereits vorhandener Hohlräume wie Eisenbahntunnel, verlassene Bergwerke oder natürliche Höhlen. Vorrangig wurden Reparaturarbeiten und Endmontageprozesse dort verlagert.
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Beispiele:
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A1 – Reichsbahntunnel Lengerich
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A2 – Tunnel bei Porta Westfalica
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B-Projekte – Zweite Welle
Im Rahmen dieser Projekte wurden neue unterirdische Produktionsstätten durch Stollenneubauten errichtet. Ziel war die vollständige Fertigung inklusive Zulieferung in unterirdischen Komplexen. Hier wurden auch große Teile der Geilenberg-Projekte integriert, die der Sicherung der Treibstoffproduktion dienten.
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Beispiele:
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B1 – U-Verlagerung Schiefer
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B2 – U-Verlagerung Malachit
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S-Projekte – Sonderbaumaßnahmen
Diese umfassten besonders geheime oder strategisch bedeutsame Großbauten wie unterirdische Führerhauptquartiere, geheime Kommandozentralen, Treibstoffdepots oder U-Boot-Bunker.
Schwerpunktprogramme mit Decknamen
Einige Programme innerhalb der U-Verlagerung hatten besonders hohe Priorität:
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Jäger-Programm: Unterirdische Fertigung von Jagdflugzeugen wie der Me 262.
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A4-Programm: Produktion der V2-Rakete (A4) in unterirdischen Fabriken wie Mittelwerk Dora.
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Geilenberg-Programm: Verlagerung der kriegsentscheidenden synthetischen Treibstoffproduktion in unterirdische Hydrierwerke.
Diese komplexe und teils absichtlich verschleiernde Systematik war Ausdruck einer zunehmend defensiv geführten Kriegswirtschaft, die unter permanentem Druck der alliierten Luftüberlegenheit stand. Die Decknamen waren nicht nur ein Mittel der Geheimhaltung, sondern auch Teil der organisatorischen Steuerung eines gigantischen, menschenverachtenden Rüstungsapparats, der maßgeblich auf Zwangsarbeit beruhte.