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Abraumförderbrücke des Plessaer Tagebaus

Die erste Abraumförderbrücke der Welt

 

Sorgenvoll mag der Bergwerksdirektor Fritz von Delius um 1920 auf das ansteigende Deckgebirge seines Plessaer Tagebaus geblickt haben; bereits über 3 Tonnen Abraum mussten für eine Tonne Rohbraunkohle bewegt werden. Und es würde bald noch mehr werden. Bald würde er mehr Bergleute im Abraum beschäftigen als in der Kohle! Dieses ewige Ein- und Aufladen, dazu das Herumfahren um den ganzen Tagebau... Ob man es nicht doch versuchen sollte? Wir wissen nicht, wie er es schaffte, sein Direktorium von dem Bau von etwas noch nie dagewesenem zu überzeugen, nämlich einer Abraumförderbrücke. Vielleicht hat ihn die Verzweiflung über den drohenden Konkurs des Werkes hierfür die notwendige Kraft gegeben. Viele Fachleute auf dem Gebiet der Abraumförderung jedenfalls bezweifelten den glücklichen Ausgang der Sache.

 

Würde es möglich sein, den Abraum 160m quer über den Tagebau von einer Seite zur andern zu transportieren? Und vor allem würde es möglich sein, die Brücke auf zwei Fahrwerken auf Schienen so beweglich zu halten, dass sie die Abraum-Bagger bei ihrer Arbeit begleiten kann. Wie gesagt, die Fachleute zweifelten an der Manövrierfähigkeit eines solchen Kolosses. Obwohl es Vorarbeiten gab. Seit die modernen Gummibänder patentiert waren, schien das Transportmittel entwickelt, die neuartigen Eimerkettenbagger könnten es beladen. Die Leipziger Ingenieure um Voß von der Allgemeinen Transport-anlagen Gesellschaft (ATG) und Bergrat Abel hatten seit dem Kriegsende an der stähler¬nen Konstruktion tüchtig getüftelt: Die Baggerseite ruht auf einem mächtigen Kugelgelenk, auf der Haldenseite sorgen zwei breitbeinige Stützen für Stabilität. Beweglich war sie hier durch Rollschlitten und Tragrollen, die sich der Haldenseite anpassten. Im Dezember 1922 erhielten die Leipziger Ingenieure das Förderbrücken-Patent bestätigt. Die Zeit drängte, sonst würde die Inflation die letzten Reserven schlucken und die Banken keine Kredite mehr geben. Was man im Januar 1922 für 500Mark bekam, dafür waren im Juli bereits 1500 zu zahlen, im Jahr darauf fast 900.000 Reichsmark und erst im Dezember 1924 wurden dann die Billionen wieder in einfache Reichsmark umgetauscht... Dass man hier die Ingenieure in Leipzig auch mit Preisen von gestern bezahlen konnte, mag zu zeitweisen Missstimmungen zwischen Plessa und Leipzig beigetragen haben, aber auch das ging vorüber…

 

Am 26. September 1924, einem warmen, klaren Tag, konnte die erste Abraumförderbrücke der Welt ihren Betrieb aufnehmen. Im Herbst des Vorjahres waren die ersten Teile mit der Bahn angeliefert worden und man hatte von beiden Enden zugleich mit der Montage begonnen – um sich dann in der Mitte zentimetergenau zu treffen - Hut ab vor dieser Leistung! Die Brücke räumte das Plessaer Revier leer und rettete das Werk. Die Zweifler verstummten. Ob sich wirklich alle Arbeiter darüber freuten? Mehr als 200 hatten sicheres Auskommen, doch mehr als 70 von ihnen wurden durch die Brücke arbeitslos und zogen beispielweise in das Entwicklungsgebiet Lauchhammer... Bis weit in die 1950er Jahre war in Plessa Tagebau. Am 1. Dezember 1959 sackte dann die Brücke nach einer planmäßigen Zündung von Sprengsätzen zu 580 Tonnen Schrott in sich zusammen. Geblieben ist im Gebiet des ehemaligen Tagebaus eine Landschaft, „made after 1959": Halden mit verschiedenen Aufforstungen von Eichen, Kiefern oder auch Obstbäumen. Täler, in denen die Natur sich selbst was Passendes aussuchte. Es gibt hier Schluchten und Durchblicke, Teiche und Seen, die ans Mittelgebirge denken lassen. Wer die Anstrengung der Anstiege und die Mühen der Orientierung auf der Karte nicht scheut, kann den sichtbaren Zeugnissen des Tagebaus in der Landschaft nachspüren und sein Wissen beim Besuch der Ausstellung zur ersten Abraumförderbrücke der Welt im Kraftwerk Plessa vertiefen.