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Der Bochumer Bruch

 

Der Bochumer Bruch liegt etwa 1,5 Kilometer nordöstlich von Wülfrath auf einem langgestreckten Höhenrücken, der hier Höhen bis rund 230 Meter über Normalnull erreicht. Nach Süden fällt diese Erhebung steil zur heutigen Landstraße L 403 ab, die in einer Geländesenke verläuft. Bereits die 1886 erbaute Niederbergbahn nutzte diese natürliche Senke: Sie führte von Oberdüssel über Wülfrath und Velbert nach Kettwig und verlief im Bereich des Bochumer Bruchs fast parallel zur Landstraße, bevor sie in einer weiten Schleife um den Steinbruch herum die nötige Höhe für den Weiterweg nach Velbert gewann.

Die Anfänge des Steinabbaus im Bereich des heutigen Bochumer Bruchs reichen in das Jahr 1839 zurück. Vermutlich wurde damals im sogenannten „Winsches Stinder“ erstmals Kalkstein für den regionalen Straßenbau gewonnen. Die Lage dieses frühen Bruchs lässt sich aufgrund der Kartensituation des 19. Jahrhunderts auf die Kuppe des Höhenrückens in einem kleinen Wäldchen zurückführen; ein dort endender Fahrweg und die inselartige Lage inmitten landwirtschaftlicher Flächen deuten auf einen bereits wieder verbuschten Altbruch hin. Der nahe gelegene Weiler Winsches gab diesem Abbaugebiet den Namen.

Die Kartenaufnahme von 1892 zeigt im Bereich des späteren Bochumer Bruchs bereits zwei aktive Steinbrüche. Der größere lag am Südostrand des Höhenrückens und ist als langgestreckter Einschnitt in den Hang dargestellt. Dabei handelt es sich um den seit 1889 von Heinrich Rossmüller betriebenen Bruch. Vor diesem Steinbruch entstand 1890 ein Ringofen, 1894 kam ein Trichterofen hinzu. Über ein Anschlussgleis konnte der gebrannte Kalk direkt auf Wagen der Niederbergbahn verladen werden. Erst durch diese Bahnverbindung waren ein rationeller Transport größerer Mengen und damit ein wirtschaftlicher Betrieb des Steinbruchs möglich.

Im Hintergrund dieser Entwicklung standen auch industriepolitische Überlegungen. Angesichts der dominierenden Stellung der Rheinisch-Westfälischen Kalkwerke (RWK) in Dornap suchte der „Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation“ nach Möglichkeiten, sich bei der Kalksteinversorgung unabhängiger aufzustellen. Der kohlensäurehaltige Kalkstein aus dem Wülfrather Raum wurde für die Hochöfen im Ruhrgebiet als Zuschlagsstoff benötigt. 1890 erwarben der Bochumer Verein und die Rheinischen Stahlwerke daher die gesamte Lagerstätte des später „Bochumer Bruch“ genannten Steinbruchs – mit Ausnahme des Rossmüllerschen Teilfeldes am Südostrand, das 1896 an die RWK Dornap überging. Obwohl die Lagerstätte bereits gesichert war, setzte ein industrieller Abbau durch den Bochumer Verein erst im Jahr 1920 ein.

Mit Beginn des großtechnischen Abbaus musste das Kalksteinlager ähnlich wie zuvor im Rossmüllerschen Bruch über einen langen, tiefen Einschnitt in den Höhenrücken erschlossen werden. Dieser Einschnitt erwies sich bald als unpraktisch, weil nur wenig Platz zur Deponierung des Abraums zur Verfügung stand. Unter der Leitung der „VSt Rohstoffbetriebe“, dem Rohstoffzweig der 1926 gegründeten „Vereinigten Stahlwerke AG“ mit Thyssen-Beteiligung, wurde der offene Einschnitt durch einen rund 160 Meter langen Tunnel ersetzt, der später als „Zeittunnel“ bekannt wurde. Der Tunnel führte unter der Trasse der Niederbergbahn und unter den Abraumhalden am Südrand des Bruchs hindurch und ermöglichte so den direkten Abtransport des gebrochenen Kalksteins zu Ringofen und Verladeanlagen. Vor dem Tunnel entstand ein umfangreiches Gleisfeld; auch die frühere Brucheinfahrt Rossmüllers wurde im Zuge der Rationalisierung mit einem eigenen Abfuhrtunnel versehen.

Parallel dazu wurde am Südrand des Bruchs ein etwa 70 Meter langer Schrägaufzug in Betonbauweise angelegt. Er diente dazu, die beladenen Loren und Waggons aus den tieferen Bruchsohlen auf das Niveau des Abfuhrtunnels zu heben. Auf diese Weise konnten sowohl der nutzbare Kalkstein als auch taubes Gestein effektiv auf die Höhe der Abfuhrsohle beziehungsweise der Abraumhalden gebracht werden. Nach Abschluss der Vorrichtungs- und Abdeckarbeiten wurde der Abbau über eine Breite von rund 450 Metern in mehreren Sohlen nach Norden vorgetrieben. Auf diesen Sohlen verliefen Gleise, über die lokbespannte Züge den Kalkstein durch den Tunnel zu Öfen und Verladung transportierten; das Abdeckmaterial wurde über Gleisrampen auf die vor und neben dem Bruch angewachsenen Halden gefahren.

1938 ging der ehemalige Rossmüllersche Bruch, der seit Ende des 19. Jahrhunderts zur RWK Dornap gehört hatte, an die VSt Rohstoffbetriebe über. Damit wurden diese Eigentümer des gesamten Bruchfeldes Bochumer Bruch. 1943 verpachteten sie das Areal an die von Thyssen gegründeten Rheinischen Kalksteinwerke Wülfrath (RKW). Während des Zweiten Weltkriegs kamen im Steinbruch auch Zwangsarbeiter zum Einsatz; im Fördertunnel wurde ein Seitenstollen als Luftschutzraum ausgebaut.

Ein weiterer struktureller Eingriff erfolgte 1947, als der Bochumer Bruch über einen etwa 374 Meter langen Verbindungstunnel mit dem benachbarten Kalkwerk Schlupkothen verbunden wurde. Der Abbau- und Transportprozess wurde damit umgestellt: Eine Kettenbahn übernahm den Transport der beladenen Waggons durch den Tunnel zu den modernen Aufbereitungsanlagen in Schlupkothen. Die Kalköfen und Verladeanlagen vor dem Bochumer Bruch wurden aufgegeben und später von den wachsenden Abraumhalden überdeckt. 1950 wurde die RKW Wülfrath Eigentümerin des Bruchs; der Abbau im Schlupkothener Bruch wurde 1951 eingestellt, um die Förderung auf den Bochumer Bruch zu konzentrieren. Hier wurden nun etwa eine Million Tonnen Kalkstein pro Jahr gewonnen, die weiterhin im Werk Schlupkothen aufbereitet wurden. Bis zur Stilllegung 1958 waren insgesamt rund 18 Millionen Tonnen Kalkstein gebrochen worden, die Lagerstätte galt als nahezu erschöpft.

Die Betreiberfolge spiegelt die Konzentrationsprozesse in der Montanindustrie vom 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wider: auf frühe, lokal geprägte Abbaue von unbekannten Betreibern im „Winsches Stinder“ folgten mit Heinrich Rossmüller ein privater Kalkunternehmer mit eigenem Ring- und Trichterofen, anschließend große Hütten- und Stahlkonzerne wie der Bochumer Verein, die Rheinischen Stahlwerke, die Vereinigten Stahlwerke und schließlich die Rheinischen Kalksteinwerke Wülfrath. Seit 1999 gehört der Bochumer Bruch zur Lhoist Germany, Rheinkalk GmbH; das Nutzungsrecht für den Steinbruch im Rahmen eines Naturschutzvertrags liegt seit 2006 bei der NRW-Abteilung des Deutschen Alpenvereins (DAV).

Nach Aufgabe des industriellen Abbaus 1958 blieb der Steinbruch zunächst sich selbst überlassen. Anders als in vielen anderen Kalksteinbrüchen der Region bildete sich im Abbaukessel kein Grundwassersee. Stattdessen entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte ein artenreiches Sekundärbiotop, dessen Pflanzen- und Tierwelt an starke Temperaturschwankungen, Hitze, Feuchte und Kälte angepasst ist. Eine zeitweilig geplante Nutzung als Deponie scheiterte am Widerstand örtlicher Naturschutzgruppen.

Einen neuen Akzent setzte die Einrichtung des Museums „Zeittunnel Wülfrath“, das nach mehrjähriger Planungsphase 2003 im ehemaligen Abfuhrtunnel in Betrieb ging. Auf einer Ausstellungsfläche von etwa 1.100 Quadratmetern wird die geologische Entwicklung der Region, die Entstehung der Massenkalke sowie die Industriegeschichte des Kalkabbaus anschaulich dargestellt; zudem werden die heutigen Lebensgemeinschaften im Steinbruch vorgestellt. Am Ende des Tunnels ermöglicht eine Aussichtsplattform rund 30 Meter über der Bruchsohle den Blick in den bis zu 70 Meter tiefen Kessel. Während der Wintermonate bleibt das Museum geschlossen, da der Tunnel Fledermäusen als Winterquartier dient.

Seit 2006 nutzt der Deutsche Alpenverein den Bochumer Bruch zusätzlich als Klettergebiet. Auf Grundlage eines Naturschutzvertrages betreibt eine Arbeitsgruppe des DAV fünf klar abgegrenzte Klettersektoren im naturbelassenen Felsen, die Routen verschiedener Schwierigkeitsgrade mit bis zu zwei Seillängen bieten. Gleichzeitig bleiben weite Teile der Felswände und der Bruchsohle aus Naturschutzgründen von sportlicher Nutzung ausgespart. Ein abgestimmtes Zugangsmanagement und eine Kontingentierung der Besuchszahlen in Zusammenarbeit mit dem Museum verhindern Übernutzung. Die Präsenz des DAV hat illegale Nutzungen deutlich reduziert; der Verein engagiert sich zudem in der Biotoppflege, etwa durch Entbuschung, Anlage von Kleingewässern für Amphibien und Rücksichtnahme auf brütende Vogelarten wie ein seit 2005 ansässiges Uhu-Paar, für das während der Brutzeit bestimmte Kletterrouten gesperrt werden.

Der heutige Bochumer Bruch umfasst etwa 16 Hektar Fläche und präsentiert sich als tief eingeschnittener, breitovaler Abbaukessel mit etwa 600 Metern Länge und 280 Metern Breite. Die nahezu senkrechten Wände erreichen Höhen bis 60 Meter. Lediglich an der Südseite sind noch mehrere übereinander liegende Sohlen erkennbar, die mit den ehemaligen Zugangstunneln korrespondieren. Davor erstreckt sich eine mächtige Abraumhalde von etwa 500 Metern Länge, 100 Metern Breite und bis zu 30 Metern Höhe; eine weitere Halde schließt westlich an und folgt dem Talverlauf. Die früheren Gleisanlagen der Verladung liegen unter diesen Aufschüttungen verborgen. Die baulichen Anlagen der Ringöfen und zugehörigen Betriebsgebäude sind abgetragen; am ehemaligen Standort befindet sich heute ein Umspannwerk. Abgesehen von den offenen Flächen im Bruchkessel sind der Steinbruch und seine Halden inzwischen dicht bewaldet. Der junge Birkenbewuchs, die Flechten und Moose verleihen der offenen Sohle einen landschaftlichen Eindruck, der an Tundren artige, nordische Vegetation erinnert.

Der eigentliche Bruchkessel ist eingezäunt und nicht frei zugänglich. Einblicke bietet der Zeittunnel über die Aussichtsplattform, während Kletterer nach vorheriger Anmeldung und unter Beachtung der Regelungen des DAV die ausgewiesenen Kletterbereiche nutzen können. Im Gelände sind noch mehrere technische Einzelbefunde der Abbauphase erkennbar, darunter der verbuschte Schrägaufzug am Südrand, der als Betonbauwerk die Verbindung zwischen den tieferen Sohlen und der Abfuhrsohle herstellte. Der Abfuhrtunnel Nr. 1 mit seinem gemauerten Portal, dem Schlägel-und-Eisen-Relief und der Inschrift „Bochumer Verein“ ist heute zum Museum ausgebaut. Weitere Spuren des industriellen Betriebs sind der zweite, schlichter ausgeführte Abfuhrtunnel im Bereich der ehemaligen Rossmüller-Bruchzufahrt, der Verbindungstunnel zum Bruch Schlupkothen sowie die Ruine eines kleinen Ziegelgebäudes, das vermutlich als Aufenthalts- oder Funktionsgebäude diente.

In seiner Gesamtheit stellt der Bochumer Bruch heute ein vielschichtiges Industriedenkmal dar, in dem sich geologische Besonderheiten, Industriegeschichte, Naturschutz und Klettersport auf engem Raum überlagern und ergänzen.