U-Verlagerung Mittelwerk
Eine eigenständige Untertage-Verlagerung mit dem Decknamen „Dora“ hat es nicht gegeben. Zwar trug ein Eiskeller in Darmstadt den Tarnnamen „Dora“, doch hatte dieser nichts mit der Raketenproduktion im Harz zu tun. Der Begriff „Mittelbau-Dora“ ist vielmehr ein Sammelbegriff für den gesamten Rüstungskomplex im Raum Nordhausen: rund zwanzig Untertage-Verlagerungen, etwa doppelt so viele Häftlingslager sowie ein ausgeprägtes Infrastruktur- und Versorgungsnetz gehörten dazu. Die U-Verlagerungen Anhydrit, Basalt, Lava, Heller und viele andere sind Teil dieses Systems. Im Mittelpunkt steht dabei eines der größten unterirdischen Rüstungswerke des Zweiten Weltkriegs: die U-Verlagerung Mittelwerk im Berg Kohnstein bei Nordhausen im Harz.
Die U-Verlagerung Mittelwerk: Ausgangspunkt für den Aufbau des Mittelwerks war die Entwicklung und Serienproduktion der V2-Rakete (eigentlich A4 – Aggregat 4). Am 3. Oktober 1942 wurde von der Heeresversuchsanstalt (HVA) in Peenemünde an der Ostsee (Deckname „Kitz“) erstmals eine V2 erfolgreich gestartet; dieses Datum ist heute der Tag der Deutschen Einheit. Am 22. Dezember 1942 genehmigte Adolf Hitler einen von Albert Speer vorgelegten Plan, nach dem zunächst 500 V2-Raketen produziert werden sollten. Geplant war, diese in den Zeppelin-Werken in Friedrichshafen und in der HVA in Peenemünde herzustellen. Am 15. Januar 1943 ernannte Speer Gerd Degenkolb zum Leiter des neu gebildeten Sonderausschusses A4, der das Raketenprogramm organisatorisch umsetzen sollte. Degenkolb hatte sich bereits bei der Lokomotivproduktion einen Namen gemacht und gliederte das Programm in sieben Logistik- und Arbeitsausschüsse: Arbeitseinsatz, Bauten, Einrichtungen und Betriebsmittel, Rohmaterial, Sauerstoff, Transport und Zulieferung. Hinzu kamen die technischen Sonderausschüsse Fertigungsplanung sowie Zelle und elektrische Geräte. Im April 1943 erhöhte Degenkolb das Produktionsziel auf 900 A4-Raketen pro Monat. Zu den beiden oberirdischen Produktionsstätten Peenemünde und Friedrichshafen (Deckname „Stahlknecht-Programm“) kam nun die Rax-Lokomotiven-Fabrik in Wiener Neustadt hinzu (Degenkolb-Programm). Die Aufteilung auf drei Standorte sollte verhindern, dass Luftangriffe alle Werke gleichzeitig ausschalten konnten; noch bombensicherer erschien jedoch eine unterirdische Fabrik.
Die Notwendigkeit einer Verlagerung zeigte sich deutlich, als die Royal Air Force (RAF) im August 1943 Peenemünde schwer bombardierte und am 22. Juni das Werk in Friedrichshafen angriff, wodurch dort die V2-Produktion unterbrochen wurde. Hitler und Speer stuften daraufhin das V2-Programm als vorrangig gegenüber allen anderen Waffenprogrammen ein. Auf der Suche nach bombensicheren Produktionsstandorten kamen bestehende unterirdische Anlagen in Betracht, darunter das bereits ausgebauten Tanklager im Kohnstein bei Niedersachswerfen.
Der Kohnstein liegt westlich von Niedersachswerfen und nordwestlich von Nordhausen. Er besteht nahezu vollständig aus Gips und Kalkstein; auf dem Kalkstein liegt eine dünne Dolomitschicht, darüber eine Lehmschicht. Den oberen Abschluss bilden mehrere bewaldete Bergkuppen, darunter der Hohe Kopf (348 m), der Kohnsteinkopf (332 m), der Gängerkopf (316 m) und der Birkenkopf (300 m ü. NN). An Nord- und Ostseite ragen senkrechte weiße Felswände bis zu 120 Meter hoch auf. Das weiche Gipsgestein ist gut stollentauglich und wurde seit etwa 1870 im Tagebau abgebaut. Gips diente als Rohstoff für die Ammoniaksynthese, zur Herstellung von Stickstoffdünger und – in Kriegszeiten besonders wichtig – zur Produktion von Nitratsprengstoffen. BASF errichtete 1917 ein Gipswerk in Niedersachswerfen zur Versorgung der neuen Ammoniakanlage in Merseburg; 1918 wurden dort etwa 32.000 Tonnen Gips, 1919 bereits 82.000 Tonnen gefördert. 1925 schlossen sich acht große deutsche Farbenhersteller zur IG Farben zusammen, zu der auch das Gipswerk Niedersachswerfen gehörte. Die Produktion stieg weiter an und erreichte 1928 etwa 1,2 Millionen Tonnen.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 gründeten IG Farben und die Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten 1934 die Wirtschaftliche Forschungsgesellschaft (WIFO), die strategisch wichtige Rohstoffe und Lagerstätten für den Kriegsfall sichern sollte. Ein zentrales Projekt war der Bau eines bombensicheren unterirdischen Kraftstofflagers. Aufgrund des geeigneten Gesteins, der bestehenden Chemieanlage, der Bahnanbindung und des Flusses Zorge als Wasserquelle schlug IG Farben vor, im Kohnstein ein Stollensystem zu errichten. Der Ausbruch sollte als Gesteinsmaterial der IG-Farben-Anlage in Merseburg zugutekommen. So entstand das unterirdische Öllager des Reiches, die „WIFO-Außenstelle Niedersachswerfen“, kurz „Ni“ bzw. später auch „Ni 105“.
Zu Beginn existierten lediglich zwei Versuchsstollen, die von der Gipsgewinnung her in den Berg führten. Im Sommer 1936 begann unter der Verantwortung des Ingenieurs Karl Wilhelm Neu der systematische Stollenneubau. Vorgesehen waren zwei parallele Hauptstollen von der Südseite des Kohnsteins, die als Fahrstollen A und B angelegt wurden und über insgesamt 18 Querstollen (Kammern) miteinander verbunden sein sollten. Diese Querstollen bildeten nach Fertigstellung das eigentliche unterirdische Tanklager. Um die Arbeiten zu beschleunigen, wurde aus zwei Richtungen vorgetrieben: von den neuen Mundlöchern der Hauptstollen und von den bestehenden Versuchsstollen des Steinbruchs aus. Rund 400 Bergleute waren im Einsatz. Am 13. März 1937 gelang der Durchbruch des östlichen Hauptstollens (Fahrstollen A), am 5. Mai 1937 erreichte Fahrstollen B seine vorläufige Endlänge. Die Kammern 1–18 wurden im Zuge des Vortriebs mit ausgeschossen. Die Querstollen erhielten ein rechteckiges Profil von 9 Metern Breite und 7 Metern Höhe. Insgesamt wurden etwa 260.000 m³ Gestein gefördert. Zur Bewetterung wurde in Kammer 1 eine Lüftungsanlage mit sechs Öfen installiert; frische Wetter wurden über drei Wetterschächte in der Nähe der Stollenmundlöcher angesaugt, die Abluft über einen Schacht am Ende der Fahrstollen abgeführt.
Bereits Pfingsten 1937 traten in der WIFO-Anlage starke Wassereinbrüche auf; es tropfte und rieselte in fast allen Bereichen, sodass der Ausbau der Bewetterung und Klimatisierung dringend wurde. Die Firma Winkelsträter aus Wuppertal, spezialisiert auf unterirdische Lüftungs- und Klimaanlagen, wurde hinzugezogen. Man einigte sich auf ein System, das alle 30 Minuten den gesamten Luftinhalt der Stollen austauschen sollte. Kammer 1 wurde zur zentralen Belüftungsanlage umgebaut, mit sechs Heizkesseln und einer Ventilatorenstation versehen; drei Wetterschächte wurden auf diese Kammer, ein weiterer auf Kammer 15 niedergebracht.
Die erste Bauphase WIFO I (Juni 1936 – Mai 1937) umfasste die beiden Fahrstollen A und B sowie die ersten 18 Kammern. Auftraggeber war die Ammoniak-Werke Merseburg GmbH, rund 400 Arbeiter waren beteiligt. Das Stollenprofil war rechteckig (7 m hoch, 9 m breit); die Hallen wurden beim Vortrieb mit ausgeschossen. Nach elf Monaten war dieses erste System betriebsbereit und wurde von der WIFO als Tanklager „WIFO 1“ übernommen. Zwischen 1937 und August 1940 folgte WIFO II: Wieder mit etwa 400 Arbeitern und gleichem Auftraggeber, aber nun mit kreisrundem Stollenprofil von 11 Metern Durchmesser. Ausgangspunkte waren der Notstollen und ein Grenzstollen auf der Ostseite. In dieser Phase wurden zusätzliche Kammern geschaffen, in denen künftig zwei riesige, je 80 Meter lange Öltanks mit einem Fassungsvermögen von 1 Million Liter pro Tank Platz finden sollten. Zwischen den Kammern 17 und 42 wurde ein zusätzlicher Mittelstollen als Bedienungs- und Versorgungsstollen angelegt. Nach Abschluss von WIFO II im August 1940 umfasste die Anlage 33 Kammern und über 7 Kilometer Stollenstrecke.
Die letzte Bauphase WIFO III (Juli 1941 – August 1943) war die schwierigste. Auftragnehmer waren die Firmen Gehlen KG (Kaiserslautern) und Sievers & Co (Vienenburg). Etwa 150 Arbeitskräfte arbeiteten im Südhang des Kohnsteins, wo das Gebirge stark gestört und brüchig war. Dolinen, Klüfte und Schlotbildungen erschwerten den Vortrieb; Stollen mussten hier von Anfang an mit armierten Betonschalen gesichert werden. Die Stollen erhielten ein gewölbtes Profil, 9 Meter breit und 6,5 Meter hoch; die Betonstärke variierte je nach Stabilität zwischen 1,0 und 1,7 Metern. Zur Sicherheit wurde in drei Pilotstollen (Sohlstollen und zwei Firststollen mit je 2,5 Metern Durchmesser) vorgetrieben; anschließend wurden die Hallen im Vollprofil ausgeschossen, mit Gerüsten und Schalungen unterstützt und betoniert. Die Bohrlöcher waren etwa drei Meter tief und wurden mit Gelantine-Donarit besetzt; nach dem Einbruchschießen folgte das Kranzschießen. Eine Schmalspurbahn mit Kipploren diente zur Abfuhr des Ausbruchs und zur Zufuhr des Betons. Am 28. August 1943 war Fahrstollen B durchgebrochen und verlief nun vollständig durch den Berg; zuvor waren bereits große Mengen Öl, Schmiermittel und Chemikalien sowie in Kammer 17 zwei riesige Tanks mit insgesamt 2 Millionen Litern Wasserstoffperoxid eingelagert worden. Im mittleren Abschnitt (WIFO 2) sollten kriegswichtige Chemikalien lagern, im südlichen Teil Kraftstoffe. Bereits im halbfertigen Zustand war das Stollensystem das größte unterirdische Treibstofflager Deutschlands, mit ausreichender Kapazität für den Reichsbedarf von schätzungsweise zwei Jahren.
In diesem Zustand lernte Paul Figge, Leiter des Zulieferausschusses mit Sitz in Kassel, die Anlage im Juli 1943 kennen. Er erkannte die Möglichkeiten des Kohnsteins als unterirdische Fabrik und kehrte bald mit Gerd Degenkolb zurück. Ende Juli entschied Hitler, dass die WIFO das Tanklager räumen müsse und das Stollensystem der V2-Produktion zur Verfügung zu stellen sei. Das Reichsministerium gewährte eine monatliche Entschädigung von eine Million Reichsmark. Degenkolb richtete nun zwei weitere Ausschüsse ein: den Ausschuss „Verlagerung“ (als Untergruppe des Zulieferausschusses unter Figge) und den Ausschuss „Serienproduktion“ unter Albin Sawatzki, der zuvor bei Henschel die Serienfertigung des „Tiger“-Panzers geleitet hatte. Zugleich erhöhte Karl Otto Saur, Leiter des Technischen Amtes in Speers Ministerium, das Produktionsziel auf 2.000 V2-Raketen pro Monat (Saur-Programm) und forderte zusätzlich die monatliche Fertigung von 25.000 Flugbomben vom Typ Fi 103 (V1).
Nach einem schweren Luftangriff auf Peenemünde am 17./18. August 1943 berichtete Speer Hitler in der „Wolfsschanze“ über die Schäden und diskutierte mit ihm die Verlagerung des V-Waffen-Programms in den Harz. Als Speer auf den Mangel an Arbeitskräften als Hauptproblem hinwies, bot Heinrich Himmler an, Häftlinge aus Konzentrationslagern bereitzustellen. Hitler stimmte zu; Himmler garantierte „totale Geheimhaltung“, da Häftlinge von der Außenwelt abgeschnitten seien. Bereits am 27. August traf eine erste Gruppe von 107 Häftlingen aus Buchenwald ein, am 2. September folgte eine zweite Gruppe mit 1.223 Gefangenen. Die Häftlinge mussten zunächst direkt im Stollensystem wohnen und arbeiten, da das Konzentrationslager Dora noch nicht existierte.
Die Gefangenen wurden zuerst im etwa 1.800 m² großen Querstollen 38 untergebracht, später kamen die Kammern 43–46 als Schlafstollen hinzu. In diesen bis zu 120 Meter langen, 9 Meter hohen und 12 Meter breiten Stollen wurden einfache, drei- bis vierstöckige Holzgestelle als Betten gebaut, die so schlecht konstruiert waren, dass sie unter dem Gewicht der geschwächten Insassen teilweise zusammenbrachen und Todesfälle verursachten. Insgesamt wurden etwa 6.000 Häftlinge auf diese vier Kammern verteilt. Wasser, Heizung und Lüftung fehlten zunächst völlig; nur einige Karbidlampen sorgten für schwaches Licht. Die Kammern waren lediglich durch Holz- und Planenkonstruktionen von den Fahrstollen getrennt. Jede Sprengung im nahegelegenen Bereich füllte die Schlafstollen mit Staub und Gasen. Die Notdurft verrichteten die Häftlinge in provisorischen Latrinen aus halbierten Ölfässern, die am Abend nach draußen getragen werden mussten und Infektionen förderten. Mangels Trinkwassers tranken viele das von den Wänden tropfende Wasser oder nutzten Urin zum Waschen. Die Ernährung war äußerst knapp: Kaffee-Ersatz, trockenes Brot, gelegentlich eine Scheibe Wurst und etwas Margarine, dazu dünne Suppe.
Die Arbeit erfolgte in Zwölf-Stunden-Schichten ohne Unterbrechung, Tag und Nacht. Unter Aufsicht von SS-Wachen und Kapos mussten die Häftlinge den Stollenausbruch beseitigen, Beton einbringen, Lüftungsschächte bohren, die WIFO-Tanks demontieren, Schienen verlegen, elektrische Leitungen installieren, Maschinen aufbauen und Nebenanlagen wie Scheinziele aus falschen Eisenbahnschienen im Gelände errichten. Parallel dazu mussten die Häftlinge ihr eigenes Lager errichten: Das spätere Konzentrationslager Dora mit 56 Wohnbaracken, 12 Wirtschaftsbaracken, 10 Krankenhausbaracken, 3 Verwaltungsbaracken, 2 Badehäusern, einem Krematorium und einem Gefängnisblock („Bunker“). Es war das letzte im „Dritten Reich“ errichtete Lager, als Geheimlager konzipiert, das nur Personen sehen sollten, die am Projekt Mittelwerk beteiligt waren. 1944 wurde das Lager nochmals erweitert; es entstanden ein Sportplatz, eine Kantine, ein Kino, ein Löschteich und zeitweise auch ein Bordell, das vor allem von Vorarbeitern und Kapos genutzt wurde. Der SS-Komplex bestand aus 25 Gebäuden für rund 900 Wachleute, das Lager war mit elektrischem Zaun und 18 Wachtürmen gesichert. Vor dem Eingang standen Dywidag-Splitterschutzzellen für das Wachpersonal, deren Reste teilweise heute noch im Gelände liegen. Die Häftlingszahl stieg schnell von etwa 6.000 (Oktober 1943) auf rund 10.000 gegen Jahresende; etwa die Hälfte lebte im Lager, die andere Hälfte noch im Stollen. Erst Juni 1944 verließen die letzten Gefangenen die unterirdischen Schlafstollen. Bis April 1944 waren von den etwa 17.500 nach Dora überstellten Häftlingen bereits etwa 3.000 verstorben; ihre Leichen wurden zunächst nach Buchenwald verbracht, später im eigenen Krematorium in Dora verbrannt. Insgesamt kamen im Komplex Mittelbau-Dora bis Kriegsende etwa 20.000 der rund 60.000 dorthin verschleppten Gefangenen ums Leben.
Währenddessen wurde das Stollensystem im Kohnstein zur unterirdischen Rüstungsfabrik „Mittelwerk“ umgebaut. Die Gesamtfläche der U-Verlagerung lag bei etwa 97.400 m², später rund 125.000 m² Produktionsfläche. Die Fertigungsstraße der V2-Raketen sollte entlang von Fahrstollen B auf einer Länge von 1.502 Metern verlaufen, während Fahrstollen A als zweigleisige Versorgungsstrecke diente. Die Kammern seitlich von Fahrstollen B wurden verschiedenen Vorfertigungen zugeordnet. Tarnnetze und Wachtürme sicherten die südlichen Stollenmundlöcher; die Eingänge wurden so gut wie möglich vor Luftaufklärung verborgen.
Die Nutzung der einzelnen Stollen im fertigen System war genau festgelegt. Im nördlichen Teil, unter dem Decknamen „Nordwerk“, wurde die Jumo-Strahltriebwerksproduktion eingerichtet, die Stollen 1–20 umfasste:
Stollen 1 diente als Betriebsbüro und Lazarett; Stollen 2 wurde für Pleuelstangen und Zylinder genutzt; Stollen 3 nahm Kurbelwellen und Propeller auf; Stollen 4 war für Kleinteile vorgesehen; Stollen 5 fungierte als Lager für Farben, Fette und Öle; in Stollen 6 war die Schleiferei untergebracht; die Stollen 7 und 8 dienten beide der Fertigung von Jumo-Pleuelstangen; Stollen 9 war für das Jumo-Vorderteil vorgesehen; Stollen 10 beherbergte die Fertigung von Kurbelgehäusen; Stollen 11 die Fertigung von Zylinderköpfen; in Stollen 12 erfolgte die Montage des Jumo-Triebwerks; Stollen 13 wurde zur Fertigung von Kleinteilen genutzt; Stollen 14 diente als Lager für V1-Teile; Stollen 15 beherbergte die Fertigung von Jumo-Kurbelwellen; Stollen 16 war für die Fertigung der V2-Turbopumpen bestimmt; Stollen 17 diente dem Oberflächenschutz von V2-Teilen; Stollen 18 vereinte die Fertigung von Jumo- und V2-Teilen sowie den Turboanlagenbau; Stollen 19 war der Fertigung von Jumo-Zylinderblöcken vorbehalten; Stollen 20 schließlich diente erneut der Fertigung von V2-Turbopumpen.
Im mittleren Bereich lag die V2-Produktion „Mittelwerk“ in den Stollen 21–42:
Stollen 21 diente als Behälterlager für Sauerstofftanks; Stollen 22 war Hauptlager und Werkzeugausgabe; Stollen 23 beherbergte die Walzblechlagerung; Stollen 24 wurde zur Schweißerei des V2-Mittelteils genutzt; Stollen 25 diente als Treibstofflager für B-Stoff (Alkohol-Wassergemisch); Stollen 26 als Treibstofflager für A-Stoff (Flüssigsauerstoff); Stollen 27 war zur Einrichtung neuer Maschinen bestimmt; in Stollen 28 befanden sich Gerätekammer und Montage der Raketenrümpfe; Stollen 29 war die Montagekammer für den V2-Antriebsblock (Brennkammern und Triebwerke); Stollen 30 umfasste Beizerei, Rohrklempnerei und Schweißerei für das V2-Mittelteil; in Stollen 31 wurden Bleche gelagert und zugeschnitten; Stollen 32 beherbergte das Pressen von V2-Teilen (Weingarten-Presse); Stollen 33 war für die Fertigung der V2-Steuerung vorgesehen; Stollen 34 diente als Lager für V2-Bleche; Stollen 35 als Lager für V2-Heckteile; Stollen 36 als weiteres Lager für V2-Teile; in Stollen 37 erfolgte die Montage der V2-Heckteile, einschließlich Flügeln und Rudern; Stollen 38 war die bereits erwähnte Oberflächenschutz-, Galvanik- und Spritzereikammer; Stollen 39 diente als Lager für V2-Rümpfe; in Stollen 40 wurden Maschinen für Heck- und Rumpffertigung neu eingerichtet; Stollen 41 war für die stehende Prüfung der V2 ausgelegt, wozu der Boden um 15 Meter abgesenkt wurde; Stollen 42 schließlich beherbergte Heizungs- und Lüftungseinrichtungen.
Im südlichen Teil war die V1-Produktion „Mittelwerk“ angesiedelt:
Stollen 43 und 44 dienten der Fertigung von Höhenleitwerken und diversen V1-Teilen; Stollen 45 beherbergte die Schweißerei der V1-Außenhaut; Stollen 46 diente der Lagerung von V1-Teilen und der Schweißerei; Stollen 47 wurde für die Herstellung von Baugruppen genutzt.
Die Fahrstollen hatten jeweils besondere Funktionen:
Fahrstollen A diente zwischen Kammer 1 und 26 als Transport- und Versorgungsbahn; zwischen Kammer 27 und 41 war hier zusätzlich eine V1-Fließbandstraße vorgesehen.
Fahrstollen B enthielt zwischen Kammer 1 und 20 die Jumo-Triebwerksfertigung und zwischen Kammer 21 und 41 die V2-Fließbandproduktion. Beide Fahrstollen waren mit Eisenbahngleisen und Schmalspurstrecken ausgestattet, auf denen Spezialwagen die Raketen und Bauteile transportierten. Aus der Luft betrachtet erinnerte das System an eine verbogene Leiter – ideal für durchgehende Fließbandfertigung.
Ab Dezember 1943 lief im Mittelwerk die unterirdische Versuchsproduktion an; Anfang Januar 1944 verließen die ersten drei V2-Raketen mit den Seriennummern 17001 bis 17003 die Fertigung und wurden nach Peenemünde gebracht. Sie wiesen jedoch gravierende Mängel auf; eine der Raketen explodierte am 27. Januar beim Start. Viele Fehlfunktionen der V2 waren auf die extreme Komplexität der Waffe zurückzuführen, andere auf beabsichtigte Sabotage durch Häftlinge. Technisch versierte Gefangene wurden gezwungen, ihre Mithäftlinge zu kontrollieren, was zusätzliche Spannungen und Brutalität erzeugte. Die Produktion stieg dennoch rasch: 50 Raketen im Januar, 86 im Februar, 170 im März, 253 im April und 437 im Mai 1944. Die V2 wurden ohne Sprengkopf aus dem Berg gebracht, getarnt mit der Deutschen Reichsbahn transportiert und erst in Munitionsdepots – etwa bei Berlin – mit Gefechtsköpfen versehen.
Während die V2-Produktion anlief, veränderten sich die Prioritäten der deutschen Luftkriegsführung. Nach Gründung des „Jägerstabs“ im März 1944 unter Karl Otto Saur wurde kritisiert, dass das V2-Programm enorme Mengen an Rohstoffen, Arbeitskräften und unterirdischem Raum beanspruchte – zulasten der Jagdflugzeugfertigung und der V1-Produktion. Nach einer Besprechung am 5. März 1944 ordnete Hitler an, dass Teile der Untertage-Anlage im Kohnstein für die Jagdflugzeugproduktion zur Verfügung zu stellen seien. Ab April 1944 wurden die Kammern 1–20 (der nördliche Teil, bisher WIFO 1) der Firma Junkers überlassen. Dort entstand unter dem Decknamen „Nordwerk“ eine Montage- und Fertigungsstraße für Jumo 004 B-1 und B-4 Strahltriebwerke, die in den Düsenjägern Me 262 und Ar 234 eingesetzt wurden. Die Belegschaft bestand aus etwa 500 deutschen Spezialisten und etwa 5.000 Fremdarbeitern, hauptsächlich Russen und Polen, die jedoch nicht als KZ-Häftlinge, sondern als zivile Arbeitskräfte galten; sie trugen keine gestreiften Lageruniformen, wurden entlohnt und in beschlagnahmten Unterkünften untergebracht. Der Kontakt zu den Häftlingen aus Dora wurde möglichst vermieden.
Im August 1944 mussten zudem die Kammern 43–46 im südlichen Kohnstein an die V1-Produktion abgegeben werden. Von nun an wurden im Mittelwerk drei verschiedene „Vergeltungswaffen“ gefertigt: V2-Raketen, V1-Flugbomben (Fi 103) und Strahltriebwerke. Mittlerweile waren im Nordwerk bis Kriegsende etwa 2.263 Jumo-Triebwerke produziert worden; im V1-Bereich entstanden rund 7.500 Flugbomben, während im verbleibenden Teil des Mittelwerks bis zum Kriegsende insgesamt etwa 5.940 V2-Raketen gefertigt wurden. Im Oktober 1944 erhielt das Mittelwerk zusätzlich den Auftrag, eine Fertigungsstraße für den Heinkel He 162 „Volksjäger“ aufzubauen. Unter dem Decknamen „Schildkröte“ wurden trotz räumlicher Enge in verschiedenen Stollen weitere Produktionsplätze geschaffen, auf denen bis Kriegsende noch einige Hundert He 162 gebaut wurden.
Parallel zur Fertigung im Kohnstein entstanden in der Region Nordhausen weitere unterirdische Rüstungsanlagen, darunter die U-Verlagerungen „Zinnstein“ (B11) und „Kaolin“ (B12), die direkt mit dem Mittelwerk verbunden sein sollten. „Zinnstein“ wurde östlich des Mittelwerks in den Gipsberg getrieben und sollte als Zulieferer für Sauerstoff und Flugzeugbenzin dienen (Geilenberg-Projekte „Eber“ und „Kuckuck“). Am nördlichen Kohnsteinhang wurde „Kaolin“ angelegt, geplant mit einer gigantischen Fläche von 600.000 m², um die gesamte Flugzeugproduktion von Junkers unterirdisch aufzunehmen. Beide B-Projekte wurden begonnen, aber nicht vollendet. In „Zinnstein“ entstand bis Kriegsende immerhin noch auf etwa 35.000 m² eine Hydrieranlage für Flugzeugbenzin (Kuckuck 1).
Gegen Ende des Krieges bricht der Komplex zusammen. Ende März 1945 rückten alliierte Truppen näher; Volkssturm-Kompanien und Wehrmachtseinheiten wurden zur Verteidigung des Kohnsteins zusammengestellt. Anfang April kam die Produktion im Mittelwerk zum Stillstand. Wissenschaftler und Schlüsselpersonen erhielten den Befehl zur Evakuierung und flohen nach Oberammergau. Viele Unterlagen wurden verbrannt, wenngleich nicht alle. Albin Sawatzki widersetzte sich dem SS-Befehl, die Anlage zu sprengen, und blieb in Nordhausen, um das Mittelwerk weitgehend unversehrt den Amerikanern zu übergeben.
In den Nächten auf den 4. und 5. April 1945 griff die RAF die Stadt Nordhausen an und zerstörte weite Teile der Stadt; etwa 8.800 Menschen starben, darunter viele Zwangsarbeiter. Besonders schwer getroffen wurde die Boelcke-Kaserne, in der rund 1.450 Gefangene ums Leben kamen. Parallel bereitete der Lagerkommandant von Dora, Richard Baer, die Evakuierung von etwa 40.000 Häftlingen aus dem Komplex Mittelbau vor, starb jedoch kurz darauf bei einem Autounfall, sodass sein Stellvertreter Franz Hößler die Aufgabe übernahm. Vom 4. bis 7. April 1945 wurden die Lager Dora, Ellrich, Woffleben und andere geräumt; Kranke aus Harzungen wurden in die Lager Bergen-Belsen, Ravensbrück und Sachsenhausen gebracht, andere Häftlinge mussten zu Fuß Richtung Norden marschieren. Viele starben an Erschöpfung oder wurden von SS-Wachen erschossen. Etwa 1.000 Häftlinge wurden bei Gardelegen in eine Scheune getrieben und bei lebendigem Leib verbrannt.
Die Stollen des Mittelwerks wurden in den letzten Kriegstagen als Luftschutzraum genutzt. Behörden, ein Krankenhaus und etwa 15.000 Zivilisten aus der Region Nordhausen suchten im Kohnstein Schutz. Am 11. April 1945 besetzte die Kampfgruppe „B“ der 3. US-Panzerdivision Nordhausen. Die Amerikaner fanden in der zerstörten Boelcke-Kaserne etwa 450 schwer unterernährte Überlebende zwischen vielen Toten. Kurz darauf entdeckten sie die unterirdische Rüstungsfabrik im Kohnstein. Von der Nordseite her betraten US-Soldaten das Stollensystem und stießen auf eine nahezu intakte Untertage-Fabrik mit Werkhallen, Maschinen und zurückgelassenen Rüstungsresten. An den südlichen Stollenmundlöchern trafen sie auf etwa 700 völlig geschwächte Zwangsarbeiter, die im Lager Dora zurückgeblieben waren. Sanitätseinheiten der 3. Panzerdivision und der 104. Infanteriedivision richteten ein Notlazarett auf dem Flugplatz Nordhausen ein. Männer aus der Zivilbevölkerung wurden verpflichtet, Verletzte zu transportieren und Massengräber auszuheben. Auf einem Feld gegenüber dem Gemeindefriedhof, etwa zwei Kilometer von der Boelcke-Kaserne entfernt, entstanden Massengräber, die heute als Ehrenfriedhof mit symbolischen Kreuzen gekennzeichnet sind.
Zwischen April und Mai 1945 untersuchten US-Geheimdienst- und britische CIOS-Kommissionen (z. B. das CIOS-Unterkomitee Nr. 163 unter Colonel W. R. J. Cook) das Mittelwerk sowie andere Untertage-Verlagerungen im Raum Nordhausen eingehend. Obwohl Nordhausen nach den Beschlüssen der Konferenz von Jalta in die sowjetische Besatzungszone fallen sollte, entfernten amerikanische Truppen unter Major Staver zahlreiche V2-Raketen, Taifun-Raketen, technische Unterlagen, Blaupausen und Spezialausrüstungen aus dem Kohnstein und anderen Anlagen und brachten sie nach Westen, teils über Paris, teils über andere Sammelpunkte. Die Briten sicherten weitere V2-Komponenten und Funk- sowie Navigationsgeräte. Die Archive der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, die in einer Eisenerzgrube bei Goslar (Zeche „Georg-Friedrich“) ausgelagert worden waren, wurden ebenfalls von amerikanischen Einheiten gefunden. Aus den sichergestellten V2-Teilen bauten die Amerikaner später rund hundert komplette Raketen nach.
Am 1. Juli 1945 übergaben die US-Streitkräfte das Gebiet um Nordhausen und den Kohnstein an die Rote Armee. Obwohl deutsche Fachleute die Amerikaner baten, das Stollensystem vor der Übergabe zu zerstören, blieb die Anlage intakt. Ein sowjetischer Inspektionstrupp unter Oberstleutnant Vladimir Schabinsky entdeckte neben der Zementfabrik in Niedersachswerfen auch die frühere V-Waffen-Fabrik im Kohnstein. Zwar waren fertige Raketen und viele Dokumente bereits entfernt, doch fanden die Sowjets eine nahezu vollständig erhaltene Fertigungsstraße mit zahlreichen Einzelteilen vor. Sie demontierten große Teile der Produktionsanlagen und verbrachten Maschinen und Ausrüstung in die Sowjetunion und andere Orte der sowjetischen Besatzungszone. Ein Teil der Einrichtungen gelangte ins Salzbergwerk Kleinbodungen.
In Bleicherode richtete die Sowjetunion ein besonderes „Raketen-Rekonstruktionsbüro“ ein, in dem deutsche Spezialisten für Elektroausrüstung und Raketentechnik – vielfach frühere Mitarbeiter von Wernher von Braun – die A4-Rakete für das sowjetische Raketenprogramm rekonstruierten. Diese Arbeiten liefen etwa von August 1945 bis Oktober 1946. Fehlende Bauteile wurden bei den ursprünglichen Herstellern nachbestellt, teils auch aus dem Westen in die sowjetische Zone geschmuggelt. Die ersten Starts erfolgten wieder von Peenemünde aus. Am 22. Oktober 1946 riegelte die Rote Armee die Region Bleicherode und das neue „Zentralwerk“ jedoch vollständig ab; etwa 2.000 deutsche Spezialisten und ihre Angehörigen wurden mit einem Sonderzug in die Sowjetunion verbracht. Viele von ihnen arbeiteten an der Entwicklung der sowjetischen Raketen R10 und R14, etwa auf der Insel Gorodomlja im Seligersee, bevor sie zwischen 1950 und 1955 nach Deutschland zurückkehren durften. Die vollständige Demontage der Rüstungsanlagen im Kohnstein dauerte bis etwa Frühjahr 1948. Anschließend brachten sowjetische Stellen mehrere mit Sprengstoff beladene Waggons in das Stollensystem, um es zu zerstören. Die Explosion beschädigte zwar Teile der Anlage, der Berg als Ganzes blieb jedoch standfest, sodass nur einige Stollenstrecken verbrochen wurden. Man begnügte sich danach damit, die Eingänge auf etwa 50 Metern Länge zu sprengen und zu verschließen.
Das ehemalige Lager Dora diente nach 1945 noch eine Zeitlang als Internierungslager für frühere Nationalsozialisten sowie als Unterkunft für deutsche Flüchtlinge. Im August 1946 wurde es endgültig aufgelöst, Baracken, Zäune und Wachtürme abgerissen. Nach der Gründung der DDR wurde das Areal um den Kohnstein und das frühere Lager zum Gedenkort erklärt; 1973 entstand offiziell die DDR-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, in der im ehemaligen Krematorium eine Ausstellung eingerichtet wurde. Teilen des unterirdischen Systems blieb der Zugang jahrzehntelang verwehrt; ein Teil der Stollenanlage „Kaolin“ wurde ab 1965 als unterirdisches Kühl- und Lagerhaus, unter anderem für Obst und Gemüse, genutzt.
Mit der deutschen Wiedervereinigung wurde die Gedenkstätte neu organisiert. Ab 1991 wurden die ehemaligen Lagerfundamente auf dem Dora-Gelände freigelegt; auf einem Fundament wurde eine Baracke originalgetreu rekonstruiert. Die alte Krematoriumsausstellung wurde 1992 entfernt und in der neuen Baracke durch eine umfangreichere und differenziertere Dauerausstellung ersetzt, die am 11. April 1995, dem 50. Jahrestag der Befreiung des Lagers, eröffnet wurde. Auch die Untertage-Anlage sollte für Besucher zugänglich gemacht werden. Dazu wurde ein neuer Zugangsstollen von etwa 180 Metern Länge aufgefahren, dessen Mundloch in der ehemaligen Zufahrtsschneise des gesprengten Fahrstollens B liegt. Er führt in den ungesprengten Bereich von Fahrstollen A. Dort wurden Sicherungsarbeiten durchgeführt und ein kleiner, geführter Rundweg eingerichtet. Heute können Besucher im Rahmen von Führungen einen Teil der alten U-Verlagerung besichtigen, insbesondere den Bereich der Kammern 44–46, die zunächst als Schlafstollen der Häftlinge, später als Produktionskammern für die V1 dienten.
Das ehemalige Mittelwerk befindet sich heute in einem chaotischen Zustand aus Verbrüchen, Einstürzen, Schuttbergen und Wasseransammlungen. Große Teile des Systems stehen unter Wasser; zwischen Betonbrocken, Schienenresten und Gestein liegen noch rostige Überreste von Maschinen, Raketen- und Flugzeugteilen. Gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Nordhausen ist die U-Verlagerung Mittelwerk heute ein bedrückendes Zeugnis der nationalsozialistischen Zwangsarbeit, der industrialisierten Kriegsführung und der Verschränkung von Technologie, Terror und Vernichtung – und zugleich eine Mahnung, aus dieser Geschichte Konsequenzen zu ziehen, damit sich ein solches Kapitel nicht wiederholt.


