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Unternehmen Wüste

Das Unternehmen Wüste mit seinen U-Verlagerungen

 

Unternehmen „Wüste“ – Mineralölsicherung aus Ölschiefer

Deckname: Wüste
Zeitraum: 1944–1945
Region: Schwäbische Alb (Baden-Württemberg)
Anlagenzahl: 10 (davon 7 teilweise fertiggestellt)
Zweck: Gewinnung von Rohöl aus Ölschiefer zur Treibstoffversorgung der Wehrmacht

Hintergrund

Mit dem Verlust der rumänischen Ölfelder (Ploiești) und den Ölschieferwerken in Estland geriet das Deutsche Reich ab 1943 in eine akute Treibstoffkrise. Um die Versorgung mit Flugbenzin und Dieselkraftstoff aufrechtzuerhalten, startete das Reichswirtschaftsministerium unter dem „Mineralölsicherungsplan“ mehrere Notprogramme zur synthetischen Treibstofferzeugung.

Eines davon war das Unternehmen „Wüste“ – ein Programm zur Schieferölgewinnung aus dem Ölschiefer der Schwäbischen Alb. Die Bezeichnung „Unternehmen Wüste“ (und die Werknummern Wüste I–X) dienten dabei der Tarnung, um das Projekt vor alliierten Aufklärern zu verschleiern.

Keine klassischen Untertage-Verlagerungen

Obwohl die „Wüste“-Werke oft im Zusammenhang mit den sogenannten U-Verlagerungen (Untertageverlagerungen) genannt werden, handelte es sich dabei nicht um Produktionsverlagerungen in Stollen oder Bergwerke. Bis auf eine kleine Versuchsanlage waren alle Wüste-Werke oberirdische Betriebe.

Ziel und Produktionsverfahren

Das Ziel war, aus bituminösem Ölschiefer durch Trockendestillation Öl zu gewinnen, das anschließend zu Treibstoff weiterverarbeitet werden konnte.

Als Verfahren wählte man das sogenannte Meilerverfahren:

  1. Der Ölschiefer wurde im Tagebau gewonnen und zerkleinert.
  2. Das Material wurde zu großen Haufen (Meilern) aufgeschichtet.
  3. Diese Meiler wurden entzündet und mit Erde abgedeckt.
  4. Durch den Schwelbrand entstand ein Gas- und Ölgemisch.
  5. Die Gase wurden über Rohrleitungen zu Kondensationsanlagen geführt.
  6. Das Kondensat, das sogenannte Schwelöl oder Schieferöl, diente als Rohprodukt zur Weiterverarbeitung (Benzin, Schmierstoffe, Teer).

Das Verfahren war technisch primitiv, aber mit den vorhandenen Mitteln schnell umsetzbar – allerdings hochgradig ineffizient: Aus rund 96 Tonnen Ölschiefer ließ sich nur etwa eine Tonne Öl gewinnen.

Produktionsziele und Realität

Die Planvorgabe für alle zehn Werke zusammen lag bei rund 15.000 Tonnen Öl pro Jahr. Tatsächlich erreichte kein Werk auch nur annähernd diese Menge. Die meisten Anlagen befanden sich bei Kriegsende noch im Aufbau oder in der Erprobung. Der gesamte Energie- und Arbeitsaufwand stand in keinem Verhältnis zur Ausbeute – ein Zeichen der verzweifelten Lage der deutschen Treibstoffwirtschaft im letzten Kriegsjahr.

Die zehn „Wüste“-Anlagen

Die Werke wurden entlang des Albtraufs zwischen Balingen und Rottweil errichtet. Jedes Werk erhielt eine eigene Nummer und war organisatorisch weitgehend identisch aufgebaut:

Werk

Standort (heutige Gemeinde)

Bemerkung

Wüste I

Dußlingen / Nehren

Test- und Produktionsanlage, teils erhaltene Reste

Wüste II

Schömberg

Versuchsanlage der DÖLF, erste Schwelversuche

Wüste III

Erzingen (Balingen)

teilweise ausgebaut

Wüste IV

Dormettingen

Standort großflächiger Meilerfelder

Wüste V

Zepfenhan (Rottweil)

Ausbau begonnen, unvollendet

Wüste VI

Frommern (Balingen)

mit Anschlussgleis

Wüste VII

Schörzingen

in Verbindung mit KZ-Außenlager Schörzingen

Wüste VIII

Dautmergen

direkt mit KZ-Außenlager Dautmergen verbunden

Wüste IX

Lautlingen / Margrethausen

teilweise fertiggestellt

Wüste X

Schömberg (zweite Anlage)

zuletzt begonnen, kaum realisiert

Trägergesellschaft war die Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft mbH (DÖLF) mit Sitz in Schömberg.
Die Arbeitskräfte stammten zu großen Teilen aus KZ-Außenlagern des KZ Natzweiler-Struthof – insbesondere den sogenannten „Wüste-Lagern“: Dautmergen, Schömberg, Bisingen und Schörzingen.

Nachkriegszeit

Nach 1945 wurden einzelne Anlagen kurzzeitig von den französischen Besatzungstruppen weiterbetrieben, um die Verfahren zu analysieren. Der Versuch, die Ölschieferverarbeitung wirtschaftlich fortzuführen, scheiterte jedoch schnell. Bis 1948 waren die meisten Anlagen demontiert oder rekultiviert. Nur wenige bauliche Reste blieben erhalten – häufig Fundamentreste, Gruben oder Reste der Gleisanschlüsse.

Zusammenfassung

Merkmal

Beschreibung

Ziel

Gewinnung von Treibstoff aus Ölschiefer

Zeitraum

1944–1945

Anlagenzahl

10 Werke

Verfahren

Meiler-Schwelverfahren (Trockendestillation)

Ausbeute

ca. 1 Tonne Öl pro 96 Tonnen Schiefer

Organisation

Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft (DÖLF)

Eingesetzte Arbeitskräfte

KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene

Ergebnis

Nur Teilbetrieb erreicht, keine nennenswerte Ölproduktion

Nachkriegsnutzung

Teilweise weitergeführt, später rekultiviert

Bedeutung

Das Unternehmen Wüste steht exemplarisch für die letzten, verzweifelten Anstrengungen des NS-Regimes, synthetische Treibstoffquellen zu erschließen. Die Anlagen waren technisch und wirtschaftlich kaum tragfähig, wurden aber mit enormem Arbeits- und Menschenaufwand errichtet. Heute erinnern Gedenktafeln, Lehrpfade und Mahnmale an mehreren Standorten der Schwäbischen Alb an die Geschichte der Wüste-Werke und die dort eingesetzten Zwangsarbeiter.