Unternehmen Wüste
- U-Verlagerungen in Baden-Württemberg
- Samstag, 25. Oktober 2025 15:48
- Samstag, 25. Oktober 2025 15:56
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Das Unternehmen Wüste mit seinen U-Verlagerungen
Unternehmen „Wüste“ – Mineralölsicherung aus Ölschiefer
Deckname: Wüste
Zeitraum: 1944–1945
Region: Schwäbische Alb (Baden-Württemberg)
Anlagenzahl: 10 (davon 7 teilweise fertiggestellt)
Zweck: Gewinnung von Rohöl aus Ölschiefer zur Treibstoffversorgung der Wehrmacht
Hintergrund
Mit dem Verlust der rumänischen Ölfelder (Ploiești) und den Ölschieferwerken in Estland geriet das Deutsche Reich ab 1943 in eine akute Treibstoffkrise. Um die Versorgung mit Flugbenzin und Dieselkraftstoff aufrechtzuerhalten, startete das Reichswirtschaftsministerium unter dem „Mineralölsicherungsplan“ mehrere Notprogramme zur synthetischen Treibstofferzeugung.
Eines davon war das Unternehmen „Wüste“ – ein Programm zur Schieferölgewinnung aus dem Ölschiefer der Schwäbischen Alb. Die Bezeichnung „Unternehmen Wüste“ (und die Werknummern Wüste I–X) dienten dabei der Tarnung, um das Projekt vor alliierten Aufklärern zu verschleiern.
Keine klassischen Untertage-Verlagerungen
Obwohl die „Wüste“-Werke oft im Zusammenhang mit den sogenannten U-Verlagerungen (Untertageverlagerungen) genannt werden, handelte es sich dabei nicht um Produktionsverlagerungen in Stollen oder Bergwerke. Bis auf eine kleine Versuchsanlage waren alle Wüste-Werke oberirdische Betriebe.
Ziel und Produktionsverfahren
Das Ziel war, aus bituminösem Ölschiefer durch Trockendestillation Öl zu gewinnen, das anschließend zu Treibstoff weiterverarbeitet werden konnte.
Als Verfahren wählte man das sogenannte Meilerverfahren:
- Der Ölschiefer wurde im Tagebau gewonnen und zerkleinert.
- Das Material wurde zu großen Haufen (Meilern) aufgeschichtet.
- Diese Meiler wurden entzündet und mit Erde abgedeckt.
- Durch den Schwelbrand entstand ein Gas- und Ölgemisch.
- Die Gase wurden über Rohrleitungen zu Kondensationsanlagen geführt.
- Das Kondensat, das sogenannte Schwelöl oder Schieferöl, diente als Rohprodukt zur Weiterverarbeitung (Benzin, Schmierstoffe, Teer).
Das Verfahren war technisch primitiv, aber mit den vorhandenen Mitteln schnell umsetzbar – allerdings hochgradig ineffizient: Aus rund 96 Tonnen Ölschiefer ließ sich nur etwa eine Tonne Öl gewinnen.
Produktionsziele und Realität
Die Planvorgabe für alle zehn Werke zusammen lag bei rund 15.000 Tonnen Öl pro Jahr. Tatsächlich erreichte kein Werk auch nur annähernd diese Menge. Die meisten Anlagen befanden sich bei Kriegsende noch im Aufbau oder in der Erprobung. Der gesamte Energie- und Arbeitsaufwand stand in keinem Verhältnis zur Ausbeute – ein Zeichen der verzweifelten Lage der deutschen Treibstoffwirtschaft im letzten Kriegsjahr.
Die zehn „Wüste“-Anlagen
Die Werke wurden entlang des Albtraufs zwischen Balingen und Rottweil errichtet. Jedes Werk erhielt eine eigene Nummer und war organisatorisch weitgehend identisch aufgebaut:
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Werk |
Standort (heutige Gemeinde) |
Bemerkung |
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Wüste I |
Dußlingen / Nehren |
Test- und Produktionsanlage, teils erhaltene Reste |
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Wüste II |
Schömberg |
Versuchsanlage der DÖLF, erste Schwelversuche |
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Wüste III |
Erzingen (Balingen) |
teilweise ausgebaut |
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Wüste IV |
Dormettingen |
Standort großflächiger Meilerfelder |
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Wüste V |
Zepfenhan (Rottweil) |
Ausbau begonnen, unvollendet |
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Wüste VI |
Frommern (Balingen) |
mit Anschlussgleis |
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Wüste VII |
Schörzingen |
in Verbindung mit KZ-Außenlager Schörzingen |
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Wüste VIII |
Dautmergen |
direkt mit KZ-Außenlager Dautmergen verbunden |
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Wüste IX |
Lautlingen / Margrethausen |
teilweise fertiggestellt |
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Wüste X |
Schömberg (zweite Anlage) |
zuletzt begonnen, kaum realisiert |
Trägergesellschaft war die Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft mbH (DÖLF) mit Sitz in Schömberg.
Die Arbeitskräfte stammten zu großen Teilen aus KZ-Außenlagern des KZ Natzweiler-Struthof – insbesondere den sogenannten „Wüste-Lagern“: Dautmergen, Schömberg, Bisingen und Schörzingen.
Nachkriegszeit
Nach 1945 wurden einzelne Anlagen kurzzeitig von den französischen Besatzungstruppen weiterbetrieben, um die Verfahren zu analysieren. Der Versuch, die Ölschieferverarbeitung wirtschaftlich fortzuführen, scheiterte jedoch schnell. Bis 1948 waren die meisten Anlagen demontiert oder rekultiviert. Nur wenige bauliche Reste blieben erhalten – häufig Fundamentreste, Gruben oder Reste der Gleisanschlüsse.
Zusammenfassung
|
Merkmal |
Beschreibung |
|
Ziel |
Gewinnung von Treibstoff aus Ölschiefer |
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Zeitraum |
1944–1945 |
|
Anlagenzahl |
10 Werke |
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Verfahren |
Meiler-Schwelverfahren (Trockendestillation) |
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Ausbeute |
ca. 1 Tonne Öl pro 96 Tonnen Schiefer |
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Organisation |
Deutsche Ölschiefer-Forschungsgesellschaft (DÖLF) |
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Eingesetzte Arbeitskräfte |
KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene |
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Ergebnis |
Nur Teilbetrieb erreicht, keine nennenswerte Ölproduktion |
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Nachkriegsnutzung |
Teilweise weitergeführt, später rekultiviert |
Bedeutung
Das Unternehmen Wüste steht exemplarisch für die letzten, verzweifelten Anstrengungen des NS-Regimes, synthetische Treibstoffquellen zu erschließen. Die Anlagen waren technisch und wirtschaftlich kaum tragfähig, wurden aber mit enormem Arbeits- und Menschenaufwand errichtet. Heute erinnern Gedenktafeln, Lehrpfade und Mahnmale an mehreren Standorten der Schwäbischen Alb an die Geschichte der Wüste-Werke und die dort eingesetzten Zwangsarbeiter.
